Institutsgeschichte
Geschichte des Institutes für Medizinische Mikrobiologie
in Gießen (bis zum Jahr 2000)
Mit dem Beschluss der Medizinischen Fakultät, die Professur für Staatsarzneikunde an der Gießener Universität in eine solche für Hygiene umzuwandeln, begann am 1. Oktober 1888 die Vorgeschichte des heutigen Hygiene-Instituts und des Instituts für Medizinische Mikrobiologie.
Dieses kurz vor 1901 bei Foto Uhl in Gießen entstandene Gruppenbild zeigt Georg Gaffky in der Mitte hinter dem Tisch im Kreise von Schülern und Kollegen.
Berthold Kemkes (1901 bis 1977) berichtete in der Festschrift zur 350-Jahr-Feier der Universität Gießen über die frühe Ausbauphase des Instituts, von der Jahrhundertwende bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, unter den Professoren Georg Gaffky, dem ersten Inhaber des Hygiene-Lehrstuhls in Gießen, der im Jahre 1904 die Nachfolge Robert Kochs in Berlin antrat, und dessen Gießener Nachfolgern Hermann Kossel, wie Gaffky ein Robert-Koch-Schüler (1910 nach Heidelberg), Rudolf Otto Neumann, ein Schüler von Karl Bernhard Lehmann mit Schwerpunkt Tropenmedizin (1914 nach Bonn), Karl Paul Schmidt (1917 nach Halle), der sich wie auch der Karl-Flügge-Schüler Emil Gotschlich (1926 nach Heidelberg) besonders um die Gewerbehygiene verdient machte; ferner Philalethes Kuhn (emeritiert 1935), Heinrich Franz Kliewe, Adolf Seiser (1939 nach Halle) und Friedrich Erhard Haag. Wissenschaftliche Schwerpunkte in der Zeit von Professor Haag, der während des Krieges zugleich beratender Hygieniker beim Wehrkreis 9 in Kassel war, lagen auf der Gebiet der Anaphylaxie, des Bakterienantagonismus sowie des Problems der Salmonellen-Dauerausscheider. Ein Mitarbeiter von Haag, Dr. Wolfram Werner, wurde Leiter des Medizinaluntersuchungsamtes in Dillenburg, das am 15. August 1945 seine Tätigkeit aufnahm.
Am 6. Dezember 1944 wurden die Gebäude des Hygiene-Institutes und des Hessischen Untersuchungsamtes für Infektionskrankheiten bei einem Bombenangriff vollständig zerstört. Haag starb im Februar 1945.
Nach der Zerstörung der Institutsgebäude mussten die Laboratorien bis Kriegsende nach Lich in Räume des Licher Schlosses und der Brauerei Ihring-Melchior, Lich, ausgelagert werden.
Ende April 1945 begann die Wiedereinrichtung des Hygiene-Instituts in Räumen des Veterinärhygienischen und Tierseuchen-Instituts an der Frankfurter Straße. Der alte Tierstall wurde behelfsmäßig wieder aufgebaut, 1949 kamen Räume in der Augenklinik hinzu.
Nach dem Fortgang von OMR Prof. Dr. Kliewe nach Mainz (1946) wurde im Jahre 1947 das (seit 1911 verselbständigte) Hessische Untersuchungsamt für Infektionskrankheiten, dessen Leiter Kliewe seit 1928 gewesen war, dem Hygiene-Institut wieder angeschlossen. Seither ist das Hygiene-Institut zugleich wieder Medizinaluntersuchungsamt für die Stadt und den Landkreis Gießen sowie für den Wetterau- und Vogelsberg-Kreis.
Im Jahr 1949 wurde Berthold Kemkes, ein Schüler von Max Neisser, zum kommissarischen Direktor des Hygiene-Instituts ernannt und 1951 auf den Lehrstuhl für Hygiene berufen.
Der 1956 begonnene Neubau des Instituts in der Friedrichstraße 16 konnte im Jahr 1958 bezogen werden. Im gleichzeitig fertiggestellten Hörsaalgebäude stand seither ein Kursraum mit 70 Plätzen und ein Hörsaal für 120 Hörer zur Verfügung. Kemkes erwarb sich Verdienste um den Ausbau der Lehranstalt für Medizinisch-Technische Assistentinnen. Von seinen Schülern habilitierten sich Florian Heiß, Manfred Kienholz, Karl-Heinz Knoll und Horst Finger. Heiß übernahm die Leitung eines Medizinaluntersuchungsamtes in Hamburg, Kienholz ein Institut in Aschaffenburg, Knoll wurde Abteilungsleiter und Professor für Hygiene an der Universität Marburg und Finger Direktor des Hygiene-Instituts der Stadt Krefeld.
Im Rahmen der Neuordnung des Faches Hygiene beschloss die Medizinische Fakultät in den 60er Jahren die Einrichtung von Lehrstühlen für Virologie (s. dort), für Medizinische Mikrobiologie und für Hygiene. 1970 wurde Hans-Jobst Wellensiek für den Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie berufen. Er übernahm auch bis zur Berufung von Ernst Gerhard Beck im Jahr 1974 die kommissarische Leitung des Hygiene-Instituts. 1972 wurden die Institute für Virologie und für Medizinische Mikrobiologie im neu errichteten Mehrzweckgebäude Frankfurter Straße 107 untergebracht. Die Aufgaben des Medizinaluntersuchungsamtes wurden seither arbeitsteilig von diesen drei Instituten wahrgenommen. Mit der Berufung von Prof. Wellensiek änderten sich die wissenschaftlichen Schwerpunkte des Instituts für Medizinische Mikrobiologie. Im Mittelpunkt standen Untersuchungen über Bakterien, ihre Pathogenitätsmechanismen und die Wirkungsweise bakterieller Toxine (Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, AOR Prof. Dr. Andreas Sziegoleit, Prof. Dr. Hans-Jobst Wellensiek, Prof. Dr. Roswitha Füssle), die verbesserte Diagnostik bakterieller Infektionen wie Lues, Borreliose, sowie die Untersuchung urogenitaler Infektionen durch Mycoplasmen und Chlamydien (Prof. Dr. Helmut Brunner, Prof. Dr. Hans Gerd Schiefer).
Von seinen Mitarbeitern habilitierten sich Helmut Brunner, Hans-Gerd Schiefer, Sucharit Bhakdi, Andreas Sziegoleit, Roswitha Füssle, Ferdinand Hugo und Christian Jantos. Sucharit Bhakdi, der von 1977 bis zu seiner Berufung 1990 auf den Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz am Institut tätig war, erhielt für seine Forschungsarbeiten über die Wirkungsmechanismen bakterieller Toxine und von Complementfaktoren zahlreiche Auszeichnungen, 1979 den Preis der Justus-Liebig-Universität, 1980 den Konstanzer Medizin-Preis, 1987 den Preis der Deutschen Gesellschaft für Mikrobiologie, 1988 den Dr. Friedrich Sasse-Preis, 1989 den Ludwig Schunk-Preis für Medizin.
Zum 1. Mai 1992 wurde der Würzburger Mikrobiologe Trinad Chakraborty auf die Professur für Infektionsepidemiologie als Nachfolger von Herrn Prof. Bhakdi und zum 1. Dezember 1997 als Nachfolger von Herrn Prof. Wellensiek als geschäftsführender Direktor des Institutes berufen. Prof. Chakraborty wurde am 05.12.1951 in Singapur geboren und hat sein Studium der Biologie in England absolviert. Im Jahre 1977 kam er nach Berlin ans Max-Planck-Institut, um seine Doktorarbeit über die DNA-Replikation von Prokaryonten anzufertigen und war u. a. Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Während seiner PostDoc-Zeit hat er am Institut für Mikrobiologie in Würzburg (ab 1986) an Listerien und Aeromonaden gearbeitet, wo er sich auch für das Fach Mikrobiologie habilitierte.
Nach seiner Berufung zum C3-Professor nach Gießen wurde damit begonnen, gentechnische Labore der Sicherheitsstufe 2 als Forschungslabore aufzubauen, um molekularbiologisch mit Krankheitserregern arbeiten zu können. Derartige Labore, die nach dem neuen Gentechnikgesetz erforderlich waren, um molekularbiologische (gentechnische) Forschung durchzuführen, hatte es bis dahin im Institut nicht gegeben. Allerdings stellte sich heraus, dass der Umbau und die Genehmigung wesentlich umfangreicher waren als erwartet, da viele verschiedene Behörden und Personen beteiligt werden mussten. Schließlich konnten die Forschungsarbeiten nach zweijähriger Aufbau- und Genehmigungsphase im Jahre 1994 endlich aufgenommen werden.
Als neuer geschäftsführender Direktor war Prof. Chakraborty jetzt auch für die bakteriologische Routinediagnostik des Universitätsklinikums Gießen verantwortlich. Die in den letzten Jahrzehnten gewachsene Bedeutung bakterieller Infektionen, die durch Entdeckung neuer Erreger, die Zunahme multiresistenter Keime und die gewachsene Zahl besonders infektionsgefährdeter Patienten immer mehr Probleme aufwirft, hat zu neuen Anforderungen geführt. Deswegen hat er diese Aufgabe mit einem neuen Konzept begonnen, um Krankheitserreger mit molekularen Methoden nachzuweisen und zu identifizieren. Hierzu hat er im Jahre 1999 den neuen Bereich „Molekulare Diagnostik (Mikrodiagnostik)“ gegründet und als dessen Leiter Herrn Prof. Eugen Domann benannt. Mit diesem Konzept hat er der Medizinischen Mikrobiologie neue Perspektiven eröffnet und moderne molekular-diagnostische Methoden eingeführt, die zu dieser Zeit an bakteriologisch-diagnostischen Instituten in Deutschland nicht verwendet wurden.
Quellen:
1. Festschriften zur 350-Jahr- und 400-Jahr-Feier der Justus-Liebig-Universität Gießen
2. Aufzeichnungen von E. Beck und H.-J. Wellensiek