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Vorgeburtliche fetoskopische Spina bifida Operation

Die vorgeburtliche fetoskopische Spina bifida Operation am UKGM

 

Die fetoskopische Spina bifida Operation in der sog. „Hybridtechnik“ ist eine der innovativsten Methoden, um einem Kind mit einem offenen Rücken bereits vor der Geburt helfen zu können.

Das Zentrum für pränatale Medizin und fetale Therapie der Universitätsklinik Gießen und Marburg (UKGM) ist das erste Deutsche Zentrum, dass diese Operationsmethode anbietet. Das UKGM ist Mitglied im „International Fetoscopic Myelomeningocele Repair Consortium“. Dies ist der weltweit größte Zusammenschluss hochspezialisierter Zentren, die gemeinsam an der Versorgung von Kindern mit offenem Rücken arbeiten.

Die folgende Broschüre soll Ihnen Informationen zu dieser modernen Operationstechnik zukommen lassen und Fragen über die postoperative Behandlung und Versorgung, sowie dem Auftreten von Komplikationen nach der Operation beantworten.

 
Die Operationstechnik:

Die sogenannten Hybridmethode verbindet zwei Operationsverfahren: Es handelt es sich um einen Unterbauchquerschnitt und anschließender Spiegelung der Gebärmutter. Der Unterbauchquerschnitt ist ähnlich wie bei einem Kaiserschnitt, allerdings ist der Schnitt etwas größer und erlaubt uns die Gebärmutter vor die Bauchdecke zu bringen.

Im Anschluss wird an der Gebärmutter eine sog. Schlüsselloch-OP (sog. Fetoskopie) durchgeführt und darüber der Defekt am kindlichen Rücken mittels minimalinvasiver Technik operiert. Ziel ist der wasserdichte Verschluss des offenen Rückens. Durch die Kombination aus Bauchschnitt und minimalinvasiver Technik reduziert sich die Frühgeburtsrate und die Probleme und Komplikationen, die das Kind dadurch erleiden kann. Eine vaginale Geburt ist möglich, falls keine anderen geburtshilflichen Gründe dagegensprechen.

 
Wundversorgung der Mutter nach der OP
  • Der Bauchschnitt, den wir für unsere Operation verwenden ist etwas größer als der Schnitt beim Kaiserschnitt.
  • Er erstreckt sich zwischen den beiden Beckenkämmen
  • Alle verwendeten Nähte heilen ein und lösen sich auf.  Es müssen keine Fäden gezogen oder entfernt werden.
  • Nach der Operation kann eine normale Wundversorgung erfolgen. Grundsätzlich sollte auf eine saubere und trockene Narbe geachtet werden.
  • Komplikationen sind selten. Hämatome, Infektionen oder Flüssigkeitsansammlungen im Wundbereich werden in ca. 2 % der Fälle beobachtet.
  • Im Falle einer Infektion sollte frühzeitig mit dem betreuenden Zentrum Rücksprache gehalten und eine antibiotische Therapie unter ärztlicher Kontrolle begonnen werden.
  • Komplikationen können in den meisten Fällen konservativ behandelt werden, ohne die Schwangerschaft zu beeinträchtigen.
 
Medikamente und körperliche Schonung nach der OP
  • Unmittelbar nach der Operation erhalten Sie Schmerzmittel nach einem speziellen Protokoll, die Sie und das Kind nicht beeinträchtigen.
  • Zur ambulanten Schmerztherapie empfehlen wir Paracetamol, Sie können hiervon maximal 4 g/Tag einnehmen. Ist dies nicht ausreichend kontaktieren Sie bitte Ihren behandelnden Arzt.
  • Bei Entlassung sollten Sie mobil und wehenfrei sein. Eine körperliche Schonung ist anzuraten, Bettruhe ist nicht nötig.
  • Bitte vermeiden Sie: Lasten über fünf Kilogramm zu tragen, stärkere körperliche Belastung (z. Bsp. Radfahren, Reiten), Geschlechtsverkehr
  • Eine dauerhafte Wehenhemmung ist im ambulanten Bereich nicht vorgesehen. Bei Auftreten von regelmäßigen Wehen sollte eine Behandlung im Krankenhaus erfolgen und eine medikamentöse Therapie begonnen werden.
  • Eine vaginale Untersuchung / Ultraschalluntersuchung ist möglich, wenn die Notwendigkeit besteht, sollte aber nicht routinemässig durchgeführt werden.
  • Die reguläre Schwangerschaftsvorsorge wird durch Ihren betreuenden Facharzt fortgesetzt.
 
Nachuntersuchung (nach Operation – vor Geburt)
Ultraschall

Wir empfehlen wöchentliche sonographische Kontrollen durch Ihren betreuenden Facharzt. Hierbei sollten Fruchtwassermenge, Plazenta und Einhäute (Amniomembran) beurteilt werden, sowie die Doppleruntersuchung des kindlichen Gefäßsystems erfolgen.

Alle zwei Wochen raten wir zu einer ausführlichen Untersuchung, um Wachstum und Bewegungen des Kindes, Größe der Hirnventrikel, sowie die Länge des Gebärmutterhalses zu beurteilen. Besonders sollte auf eine Ablösung der Eihaut von der Gebärmutterwand geachtet werden. Falls diese mehr als 50 % ist, sollte die stationäre Aufnahme erfolhen.

Etwa vier Wochen nach der Operation bitten wir Sie zum Ultraschall ans UKGM zu kommen. Hier werden wir Sie und das Kind erneut umfassend untersuchen. Neben dem Ultraschall wollen wir erfahren, wie es Ihnen nach der OP geht und wie die Wunde verheilt. Ausserdem können offene Fragen von Ihrer Seite besprochen und die weiteren Kontrolltermine geplant werden.

MRT

Sechs Wochen nach der Operation führen wir eine Kontrolle mittels MRT durch, um die Hirnstrukturen und die Wirbelsäule zu beurteilen. Hierzu erhalten Sie einen Termin am UKGM. Es wird unter anderem auf die Entwicklung in der hinteren Schädelgrube geachtet. Dies kann zur Einschätzung beitragen, ob eine Shuntanlage nach der Geburt nötig sein wird.  Des Weiteren wird das ehemalige OP-Gebiet am Rücken und der Wundverschluss, sowie die Verhältnisse an den Eihäuten und der Plazenta beurteilt.

 

Komplikationen nach der Operation

Amnion-Chorion-Separation

Nach einer antenatalen Operation kann es zu einer Ablösung der Eihäute kommen. Hierbei löst sich die Fruchthöhle (Amnion) von der darunter liegenden Schicht (Chorion). Besteht eine Separation von mehr als 50%, empfehlen wir die stationäre Aufnahme an unserem Zentrum, da es in diesem Zusammenhang gehäuft zum Auftreten eines vorzeitigen Blasensprungs und der Notwendigkeit der vorzeitigen Entbindung kommen kann. Ausserdem besteht eine Gefährdung des Kindes durch eine potenzielle Nabelschnurrverengung aufgrund der Ablösung.

Das Risiko eines vorzeitigen Blasensprungs steigt um das 21,7-fache, wenn eine Amnionseparation festgestellt wird, das Risiko für eine Frühgeburt steigt um das 9,7-fache. Patientinnen, bei denen eine Amnionseparation festgestellt wurde, wurden in einem früheren Gestationsalter entbunden als Patientinnen ohne Amnionseparation [35, (29,9-40,9) Wochen vs. 39,0 (26,0-40,6) Wochen; p<0,01].

 

Verringerte Menge an Fruchtwasser (Oligohydramnion)

Nach dem Verschluss der Spina bifida im „Hybridverfahren“ tritt ein Oligohydramnion nicht gehäuft auf. Aktuell kann diese Komplikation in ca. 6% aller Fälle auftreten. Liegt die Fruchtwassermenge im unteren Normbereich, empfehlen wir die Beurteilung des fetalen Wachstums und der Fruchthöhle mittels Ultraschalls, um nach Anzeichen einer Amnion-Chorion-Separation zu suchen. Im Falle einer solchen Separation kann die Menge des Fruchtwassers unterschätzt werden.

Weiterhin muss ausgeschlossen werden, dass das Fruchtwasser in den mütterlichen Bauchraum übergetreten ist.

Eine andere Ursache für ein Oligohydramnion ist der frühe vorzeitige Blasensprung. Dieser kann in der gynäkologischen Untersuchung durch einen speziellen Test  nachgewiesen/ausgeschlossen werden.

Ist das Fruchtwasser deutlich reduziert, raten wir zur stationären Aufnahme und zur engmaschigen Überwachung von Mutter und Kind.

 

Motorische Funktion des Kindes

Die Beweglichkeit der Beine des Kindes wird im Ultraschall bereits vor der OP beurteilt. Auf dieser Basis werden Sie über die zu erwartende Motorik des Kindes nach der Geburt beraten.

Kinder, die einen vorgeburtlichen, operativen Verschluss der Spina bifida erhalten und postoperativ im Ultraschall eine Beweglichkeit zeigen, haben eine hohe Chance auf den Erhalt der motorischen Funktion nach der Geburt. Die Operation hat das Ziel die bestehende motorische Funktion zu erhalten, einen bereits vorhandenen Funktionsverlust kann sie nicht rückgängig machen.

 

Grösse der Hirnventrikel

Neben der Beurteilung der motorischen Funktion spielt die Erweiterung der flüssigkeitsgefüllten Hirnräume, sog. Hirnventrikel eine Rolle. Kinder mit einer Spina bifida zeigen gehäuft eine Erweiterung der Hirnventrikel, welche zu einem sog. Hydrocephalus führen kann. Dieser muss nachgeburtlich gegebenenfalls versorgt werden. Unser versiertes Team aus Kinderneurologen und -Neurochirurgen wird dies nach Geburt beurteilen und Sie entsprechend beraten.

Die Größe der kindlichen Hirnventrikel wird sonographisch auf Höhe der sog. Hinterhörner gemessen. Bei der Interpretation der Ventrikel nach der Operation ist die präoperative Ventrikelgröße von Bedeutung.

Sind die Ventrikel vor der Operation grösser als 15 mm, informieren wir Sie, dass das Neugeborene nach der Geburt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Behandlung benötigen kann. Das Risiko ist bei diesem Befund um das 10-fache erhöht.

Wir weisen darauf hin, dass das Ziel der vorgeburtlichen Operation darin besteht, die motorische Funktion des Kindes zu erhalten und die Behandlung eines Hydrozephalus zu verhindern. Allerdings ist die Operation auch bei erweiterten Ventrikeln sinnvoll, um die motorische Funktion zu bewahren.

 

Mögliche postoperative Komplikationen

 

Schmerzen

Einige Patientinnen leiden postoperativ unter starken und lokalisierten Schmerzen, die häufig im Bereich der Flanken auftreten. Diese Schmerzen können durch Druck oder fetale Bewegungen ausgelöst werden und verschwinden in der Regel spontan nach einigen Sekunden oder Minuten. Meist beginnt dieser Schmerz kurz nach der Operation. Wir vermuten, dass dies mit einer Reizung des Bauchfells durch die Nähte zusammenhängt, die wir zum Verschließen der Ports an der Gebärmutter verwenden. Seit die Operationstechnik angepasst wurde und die Knoten nun unter die Serosa des Myometriums legen, ist die Häufigkeit dieser Komplikation zurückgegangen. Nur noch 10% der Patientinnen klagen über diese Beschwerden. Meist verschwindet dieser Schmerz, nachdem die Naht erweicht und resorbiert wird, ca. 6 Wochen postoperativ.

 

Vorzeitige Wehentätigkeit

Obwohl die meisten Patientinnen um den errechneten Geburtstermin entbinden (64%) können vorzeitige Wehen und das Risiko einer Frühgeburtlichkeit ein Problem darstellen. Wenn Sie vor der 37. SSW Wehen und/oder Schmerz/Druck im Beckenbereich bemerken, empfehlen wir die Vorstellung beim Facharzt oder im heimatnahen Krankenhaus. Stellt sich der Gebärmutterhals verkürzt dar oder ist eine Trichterbildung nachweisbar, raten wir zur engmaschigen Überwachung und die stationäre Beobachtung im betreuenden Zentrum. In der Kohorte von Patientinnen, bei denen eine fetoskopischer Spina-bifida-Operation erfolgte, haben nur 4% vor der 30. SSW entbunden.

 

Früher vorzeitiger Blasensprung

Bei einem frühen vorzeitigen Blasensprung sollte eine stationäre Behandlung am betreuenden Zentrum erfolgen. Wir empfehlen die Gabe einer kalkulierten antibiotischen Therapie.  

Während des stationären Aufenthaltes sollte die engmaschige Überwachung des Kindes mittels CTG und Ultraschallkontrollen, sowie regelmäßigen Blutentnahmen durchgeführt werden, um die Anzeichen einer Entzündung der Eihäute und der Fruchthöhle frühzeitig zu erkennen.

Unter diesen engmaschigen klinischen und laborchemischen Kontrollen kann die Prolongation der Schwangerschaft angestrebt werden.

 

Management für die Entbindung

Im Grunde genommen ist die Entbindung einer Frau, deren Kind eine Operation der Spina bifida im Hybridverfahren erhalten hat, sehr ähnlich zu jeder anderen Schwangerschaft. Da für die Operation nur drei kleine Schnitte auf der Gebärmutter angebracht werden, die am Ende der Operation unter Sicht vernäht werden, ist das Risiko einer Komplikation zum Zeitpunkt der Entbindung sehr gering.

In Studien konnte gezeigt werden, dass ca. 52 % der Patientinnen auf normalem Wege entbinden. Entscheidend für die Wahl des Geburtsmodus ist die Größe des kindlichen Kopfes und andere geburtshilfliche Indikationen.

Im Falle eines Kaiserschnitts (zum Beispiel bei grossen kindlichen Kopf, Beckenendlage, andere geburtshilfliche Indikationen) sollte dieser ab der 39. Schwangerschaftswoche geplant werden. Patientinnen, die per Kaiserschnitt entbunden wurden, hatten keinen Nachweis für eine Ausdünnung oder Dehiszenz der Uterusnarben. Es sind keine Fälle einer Uterusruptur berichtet.

Bei Schädellage des Kindes und keinerlei sonstigen Kontraindikation für eine vaginale Entbindung, empfehlen wir die Geburtseinleitung zwischen der 39. und 40. Schwangerschaftswoche. Die Rate der vaginalen Entbindungen nach einer Einleitung ist hoch (83%). Zur Einleitung können sowohl Prostaglandine als auch Oxytocin-Präparate verwendet werden.

 

Dr. med. Siegmund Köhler

Siegmund.Koehler@uk-gm.de

Tel: 06421/ 586 6214

Dr. med. Corinna Keil

Corinna.Keil@uk-gm.de

Tel: 06421/ 586 6214